K. Bäumlin (Hg.): Kurt Marti. Sprachkünstler, Pfarrer, Freund

Cover
Titel
Kurt Marti. Sprachkünstler, Pfarrer, Freund


Herausgeber
Bäumlin, Klaus
Erschienen
Zürich 2020: Theologischer Verlag Zürich
Anzahl Seiten
170 S.
Preis
CHF 16.80
von
Marianne Derron Corbellari

2021 wäre der Berner Theologe, Pfarrer und Dichter hundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass widmeten ihm Weggefährten, Freundinnen und Kollegen einen Sammelband, dessen Beiträge auf einzelne Aspekte des Schaffens und Lebens von Kurt Marti (1921–2017) eingehen. Der Ansatz der Verfasser ist überwiegend persönlich geprägt, worauf bereits der Untertitel («Freund») hinweist. Zehn der elf Beiträge (abgerundet von einer autobiografischen Notiz Martis) thematisieren den direkten Austausch mit Marti mehr oder weniger stark: «So sind denn auch die meisten Beiträge persönliche Texte, sind so etwas wie biografische Mosaiksteine, wobei sich ‹biografisch› sowohl auf Kurt Marti als auch auf die meisten Verfasserinnen und Verfasser bezieht.» (Vorwort des Herausgebers).

Franz Hohler zeigt in seinem Beitrag «Der Ernstnehmer» (S. 10–17), dass Kurt Marti jedem Menschen und jeder Sache Würde und Bedeutung zuwies und unvoreingenommen Aufmerksamkeit allen und allem schenkte, auch wenn sie oder es zuerst bedeutungslos schien. Dies illustriert Hohler insbesondere am Dialekt und an den Übersetzungen in Mundart, die zu neuen, überraschenden Begegnungen mit Weltliteratur führten.

Guy Krneta stellt Marti in Beziehung zu Mani Matter (S. 18 –41). Dieser Beitrag beleuchtet die freundschaftliche Beziehung zwischen zwei Poeten, die sich zwar w der direkt beeinflusst haben noch eng befreundet waren (eine Generation trennt sie), deren Ansatz aber vieles verband. Bei beiden ist zu spüren, dass die Mundartliteratur nicht einschränkt auf einen kleinen Kreis von Sprecherinnen und Sprechern, sondern im Gegenteil darüber hinausführt, da sie sich ohne Hemmungen auch ans Französische, Kultur- und Chanson-Sprache par excellence, heranwagt.

Joy Matter stellt die «Gfellerrunde» ins Zentrum ihres Beitrages (S. 46–53). Dieser Tea-Room-Stamm im gleichnamigen Lokal vereinigte fast jeden Samstagvormittag Bekanntschaften im Umkreis von Kurt Marti oder eher seiner Frau Hanni geborene Morgenthaler. Die Schilderung solcher informeller Treffen enthüllt, dass Marti kein Übermensch war, sondern sich gerne auf eheliche Hilfe abstützte: Ganz typische Pfarrersfrau, übernahm Hanni Pflichten des gesellschaftlichen Lebens, indem sie als seine «innere Agenda» fungierte. Im Haus sorgte sie für die nötige Ruhe, auf dass der Gatte ungestört seiner beruflichen oder dichterischen Arbeit nachgehen konnte. Kurt Marti war poetisch zwar ein Avantgardist, im Familien- und Eheleben aber durch und durch Traditionalist.

So gut man nachvollziehen kann, wie bedeutend die Bekanntschaft, ja die Freundschaft von Kurt Marti für die Beiträgerinnen und Beiträger war, bleibt Marti dem Leser als Mensch eher fremd. Ob dies mit seiner diskreten, taktvollen Wesensart zusammenhängt, die gerade Fredi Lerch unterstreicht? Versteckte sich Marti zuweilen hinter dem Amt des Pfarrers, der zwar andere aufrichtet, aber selbst scheinbar keine Hilfe braucht?

Der Sammelband hat nicht zum Zweck, Kurt Marti in seiner Intimität als Familienmensch darzustellen, und dennoch vermisst die Rezensentin diesen Aspekt ein bisschen. Marti – Vater von vier Kindern, über sechzig Jahre mit derselben Frau verheiratet – ist anders gar nicht denkbar. Beiläufig erfährt man einzig den Namen und die Tätigkeit (Studentin) einer Tochter. Über seine Gattin, deren Bedeutung für Marti auch im Beitrag Fredi Lerchs deutlich wird, erfährt man immerhin etwas mehr (Namen, Heimatort, Wesenszüge). Der Verleger Wolfgang Erk würdigt sie als «wunderbare Frau», die «leichter zu gewinnen und begeistern war [als ihr Ehemann]» (S. 110). Wenig erstaunlich, dass sie ausserdem durch ihre Koch- und Backkünste auffiel. Auch wenn sie vermutlich nicht über dieselbe Bildung wie ihr Mann verfügte, dürfte man heute eine etwas umfassendere Würdigung erwarten. Fest steht, dass ohne seine Frau Kurt Marti trotz aller Ehrungen im In- und Ausland weniger gereist und weniger von der Welt gesehen hätte.

Trotz des grossen Freundes- und Familienkreises scheint Marti im Alter einsam gewesen zu sein. Das hohe Alter war keine Zeit der Erfüllung, sondern mühselig, von Verlust und Trauer geprägt. Das mag in der Realität nicht ganz so zugetroffen haben, ergibt sich aber als Eindruck bei der Lektüre: Obwohl Marti auf eine stattliche Lauf bahn zurückblicken durfte, erlebte er das Alter vornehmlich als Prozess des körperlichen und geistigen Niedergangs. Gut möglich, dass Marti mit seinem lakonischen Humor das Seine dazu beigetragen hat: «i bi nen alte ma / i wetti chönne ga / und bi doch geng no da» (S. 91).

Obwohl der Aspekt des Familienlebens ausgeklammert bleibt, schafft das Bändchen ein sehr abgerundetes, komplettes Bild von Kurt Marti. Das ist sehr verdienstvoll und notwendig, haben doch die meisten von Marti wenigstens gehört, das eine oder andere Gedicht gelesen, kennen aber keine weiteren Details aus seinem Leben. Die Beiträgerinnen und Beiträger sind zudem ausnahmslos sprachgewandt und schrifterprobt (Journalisten, Schriftstellerinnen usw.), sodass die Lektüre umso angenehmer ist. Alle betonen, wie originell Kurt Marti literarisch und politisch war, ja, er wurde sogar als «Bürgerschreck» wahrgenommen. Offenbar bestand hier eine Diskrepanz zwischen Marti als Privatmann und als dichtendem Theologen: So sehr er auf der einen Seite überraschte, so traditionell, ja fast konventionell gab er sich auf der anderen.

Kurt Marti war zu Lebzeiten eine viel beachtete Stimme, gewann zahlreiche Preise und wurde mit Ehrendoktoraten ausgezeichnet. Dennoch rückt der Sammelband die Hauptperson in ein etwas provinzielles Ambiente. Trotz aller menschlichen und beruflichen Ausstrahlung verstanden sich Marti und sein Freundeskreis in erster Linie als Berner. Dies schränkt Marti aber stärker auf eine Region ein, als ihm lieb sein konnte. So gesehen, ist es durchaus zu bedauern, dass er 1972 den Lehrstuhl für Homiletik an der Universität Bern nicht erhielt, denn das hätte ihm zu grösserer Wirkung auch auf wissenschaftlicher Ebene verholfen (zu Marti als Theologen und Germanisten siehe besonders Bäumlin, S. 148–161).

Zitierweise:
Marianne Derron Corbellari: Rezension zu: Bäumlin, Klaus (Hrsg.): Kurt Marti. Sprachkünstler, Pfarrer, Freund. Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2020. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 38-40.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 38-40.

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